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WELTVERBESSERER

Ja, ich gebe es zu. Da habe auch ich tiefe Emotionen empfunden und mir klammheimlich eine Träne aus dem Augenwinkel gewischt, wenn auch nicht vor lauter Rührung: Der von meiner Gattin abonnierte „Nordbayerischer Kurier“ widmete am vergangenen Montag gleich ein Viertel seiner dritten Seite der Sendung „Wetten, dass ..?“

Mit einem Artikel, der der Redaktion nach einer auf eine mögliche Pleite des Blattes folgenden Bewerbung bei BILD dort unterwürfige Demuts- Gesten garantieren dürfte.
Dass Udo Jürgens (Udo Jürgen Bockelmann) auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos ein „Crystal Award“ für seinen Einsatz für eine bessere Welt verliehen wurde, war der Zeitung hingegen keinen Artikel wert.

Dankenswerterweise aber der Financial Times Deutschland, die neben hervorragenden Illustratoren auch einige blitzgescheite Texter auf der payroll hat, die dem heute leider selten gewordenen Spaß nachhängen, zuzubeißen statt wiederzukäuen oder nachzuverdauen. Payroll, ja, so heißt das heute.
Udo Jürgens. Einsatz für eine bessere Welt. Hmm, da hat die FTD recht zugebissen, obwohl er ja auch nicht ganz untätig ist.

Was aber ist mit Tony Marshall (Herbert Anton Bloeth), singt er doch: „Die Welt ist wunderschön, das muss ein jeder sehn, und sind auch Sorgen da, die hat ein jeder ja. Wir wollen ganz zufrieden sein, und trinken Bier und Schnaps und Wein.“

Oder mit einer posthumen Ehrung Freddy Quinns (Franz Eugen Helmuth Manfred Nidl): „Die Welt ist ein Wunder, glaube mir. Komm doch einfach mit. Ich zeige sie Dir.“

WELTVERBESSERER AUCH IN WASHINGTON UND BERLIN

Leer ausgegangen beim diesjährigen „Crystal Award“ für den Einsatz für eine bessere Welt ist verblüffenderweise die US-Regierung. Vielleicht liegt’s ja daran, dass Präsident Obama zuvor schon mit dem Friedensnobelpreis in Verbindung gebracht wurde.

Ansonsten wären die US-Wirtschaftsstatistiker geradezu prädestiniert für einen Preis wie „Unsere Welt soll schöner werden“, in einem Zug könnte Washington in „Kaff der guten Hoffnung“ umgetauft werden.

Aber Berlin. Was ist mit Berlin? Da werden die Politiker nicht müde zu betonen, dass sich im gesamten Euroraum der deutsche Arbeitsmarkt in der Wirtschaftskrise am widerstandsfähigsten gezeigt habe.

Auch dabei dürfte es sich um eine Art weltverbesserndes Wirtschaftswunder handeln. Denn wie das Finanzministerium am Freitag bekannt gab, sind Lohn- und Einkommensteueraufkommen im vergangenen Jahr drastisch eingebrochen, besonders dramatisch im Dezember.

Mit dem stabilen Arbeitsmarkt mag das so gar nicht zusammen passen, selbst wenn man die ausgeweitete Kurzarbeit berücksichtigt. Für 2010 (in Dynamik transportierendem Politikerdeutsch „zweizehn“) erwartet man Schlimmeres.

Preis-wert ist aber auch allein der am Freitag aus Berlin angekündigte Vorstoß, die Erhebung von Zusatzbeiträgen durch die Krankenkassen durch einen einmaligen Sonderzuschuss von 2,8 Milliarden Euro abzuwenden. Welch ein Befreiungsschlag! Geld, das noch gleich woher kommt? Richtig: Aus dem Steuersäckel, das von wem noch gleich gefüllt wird?

GRIECHISCHER WEIN

Warum also ausgerechnet Udo Jürgens, der ebenso wie jeder Boxer vor Publikum mal gerne in einen Bademantel schlüpft? Ohne aus dem Bad zu kommen geschweige denn gerade mit dem Gedanken schwanger zu gehen, mal so richtig baden zu gehen. Ganz einfach:

Jürgens sang den berühmten Song vom „griechischen Wein“. Aber Hallo! An dem sich auch die Regierung der Hellenen dionysisch delektiert haben dürfte, als sie über Jahre hinweg zum Zwecke der Weltverbesserung Haushaltsdaten nach Brüssel meldete, die - welch sprachliche Tücke - getürkt waren.

Nun hat der Euro ein Problem, besser gesagt, eines mehr. Und nachdem die ebenfalls um Weltverbesserung bemühten Amerikaner am Freitag mit einem BIP-Wachstum für das vierte Quartal auftrumpften, mit dem sich David Copperfield selbst übertroffen haben würde, geht der Euro weiter in die Knie.

Ist es nicht sonderbar? Seit Erscheinen meiner letzten Kolumne am 11. Januar (die Sie lesen sollten, wenn Sie wissen möchten, wohin die Reise wirklich geht) sind die Aktienmärkte etwas rückläufig, die Schminke auf den Konjunkturdaten etwas dicker geworden. Und die Kurse sind wie erwartet gefallen.

Gefallen. Aber noch nicht richtig. Das aber werden sie ab jetzt, im Gleichklang zur schrittweisen Demaskierung der Realitätsadjustierer, Daten-Visageure und Ohrenbläser.

Die Fähigkeit zur Erkenntnis, sich selbst in einer Mitleid erregenden Zustandsform zu befinden, ist etwas sehr Seltenes. „Ein Zyniker ist ein Mensch, der die Dinge so sieht, wie sie sind, und nicht, wie sein sollten.“, meinte Ambrose Bierce, der 1914 verschollene, damals einflussreichste Journalist in Washington DC.

Die kommenden Monate werden euphorisierten Anlegern genügend Zeit bieten, im Sinne dieses Zitats zum Zynismus zu konvertieren.

Als beschließendes i-Tüpfelchen dieser Kolumne kommt (wie gerufen) gerade ein kurzer Zwischenreport der von mir hoch geschätzten Kollegen von www.shadowstats.com herein. Witzigerweise trägt er die Überschrift „No. 274: State of the Real World.“

Ich bemühe mich noch heute, den (nur Abonnenten zugänglichen) Artikel auf meiner Webseite für Sie freischalten zu können. Schauen Sie in den nächsten Tagen einfach mal wieder vorbei.

Ach ja: Ein paar Puts wären auch nicht übel. Das Zeitfenster dafür schließt sich nun. Und zwar, salopp gesagt, „zügig“. Und die Bären dürften mit den Weltverbesserern und Minnesängern des Aufschwungs wieder richtig Schlitten fahren.

Beste Grüße! Axel Retz

Der Verfasser ist Herausgeber der Webseite www.private-profits.de Und hat die Benchmarks Dax, Dow Jones und DJ E. Stoxx 50 im Zeitraum 2008/2009 seit Erscheinen seiner Briefe deutlich outperformt. 2009 wurde die Dynamik der Rallye unterschätzt, dafür wurden 2008 aber überproportionale Gewinne erzielt, während die Börsen in den Keller rauschten. Ein Szenario, das sich nach Überzeugung des Verfassers 2010 wiederholen wird.


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