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KRONE DER SCHRÖPFUNG

Liebe Leserinnen und Leser,

nein, ich möchte keine 1.953,58 Euro pro Woche nebenbei verdienen, ich will auch nicht aus 10.000 Euro in höchstens fünf Jahren eine Million machen. Und noch einmal nein, ich brauche auch keinen Börsenbrief, der mir 500 Prozent Performance p. a. verspricht, natürlich mit „Geld zurück-Garantie“, ich lechze auch nicht nach einer Luxus-Kreuzfahrt, einer Finca auf Mallorca oder einem Luxussportwagen.

Geschweige denn glaube ich daran noch kann ich mich auch nur ansatzweise darüber amüsieren, dass irgendjemand eine „geheime“ Aktie zu kennen vorgibt, die bis zum 21.07.2011 um 2.629,44 Prozent steigen wird, deren Name aber nur höchstens 99 „Teilnehmern“ verraten werden darf, die sich wegen des hohen Interesses aber nur noch bis aller-, allerspätestens morgen 24.00 Uhr anmelden können.

Aber ich will, dass man mich nicht permanent mit diesem niveaulosen Werbemüll belästigt und dass man sich seine für dumm verkaufen lassende, IQ-reduzierte Kundschaft gefälligst im Big Brother-, DSDS- oder GNTM-Milieu sucht.

Diese Suche nach semi-intellektuellen Kunden, deren Gier erheblich größer ist als ihr Geldbeutel und erst recht als ihr Gehirn, scheint sich in der Börsendienstszene zurzeit schneller auszubreiten als Schimmelpilz auf verfaulten Nektarinen. Diese Art der „Geldschöpfung“ diverser Verlage mag juristisch vielleicht noch durchgehen, moralisch betrachtet ist sie die Krone der Schröpfung.

Vergleichbare Lebendfallen legt neben dem jeweils anderen Geschlecht sonst nur die Politik aus, deren Wahlversprechen sich mit schöner Regelmäßigkeit im Nachhinein als echte Schenkelklopfer erweisen würden, müssten sich die Gelackmeierten nicht mit einem mea culpa an die eigene Nase fassen. 15 Prozent Guidoten bei der letzten Bundestagswahl, durch die Realität jetzt eingedampft auf nur noch knapp fünf – und sie waren nicht die Einzigen…

„Der Irrsinn ist bei einzelnen etwas Seltenes, aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel“, stellte Nietzsche in „Jenseits von Gut und Böse“ fest. Gut und Böse, nicht Gut und Börse. Dennoch feiert der Irr-Sinn auch an Letzterer immer wieder fröhliche Urständ. Letztes, noch ofenwarmes Beispiel: Der Irrglaube der meisten Aktienanleger hinsichtlich der tollen Performance des gerade zu Ende gegangenen ersten Halbjahres, das prall gefüllt war mit Gewinnen.

Gefühlten Gewinnen, muss man anmerken, nicht tatsächlichen. Denn die vermeintlich üppige Performance der weltweit bedeutendsten Blue Chip-Indizes in den ersten sechs Monaten d. J. gerät bei genauerem Hinsehen in argen Konflikt mit der Wirklichkeit und liest sich so:

GEFÜHLTE GEWINNE

DAX minus 1,37 Prozent, AEX minus 8,45 Prozent, ATX minus 10,21 Prozent, CAC40 minus 14,44 Prozent, Dow Jones minus 7,65 Prozent, DJ Euro Stoxx 50 minus 14,74 Prozent, FTSE 100 minus 10,62, HangSeng minus 7,76 Prozent, IBEX minus 23,73 Prozent, Nikkei minus 11,94 Prozent, RTX minus 17,14 Prozent, Shanghai Comp. minus 26,08 Prozent, SMI minus 7,79 Prozent.

Lustig ist hierbei insbesondere, dass sich ausgerechnet die chinesische Börse die rote Laterne des Top-Loosers verdient hat, gilt das Land unter westlichen Anlegern doch als die stärkste Konjunkturlokomotive überhaupt.

Hinzu kommt, dass das erste Halbjahr in den genannten Indizes nicht nur mehr oder weniger deutliche Verluste produzierte, sondern auch durch extreme „Bocksprünge“ der Kurse auffiel. Denken Sie nur an das irrwitzige Auf und Ab des DAX während der letzten Monate. Da war es erfreulich gleichgültig, ob Sie Ihre Knockout-Zertifikate mit naher K.O.-Schwelle als Bulle oder Bär versenkten. Betrachten wir es als „gerecht“.

Dass die Börsen trotz der veröffentlichten positiven Wirtschaftsdaten, der auf zumindest mittlere Sicht weiter historisch niedrigen Leitzinsen und der sich geradezu überschlagenden Konjunkturprognosen (erst heute wieder vom IWF) im ersten Halbjahr den Rückwärtsgang eingelegt haben, sollte zu denken geben. Zumal der nach Jahrzehnten der finanziellen Füllhornpolitik aus dem Nichts in die Politikerhirne gefahrene Sparblitz seine kaufkraftdämpfenden Wirkungen je bis jetzt noch gar nicht entfaltet hat.

Die in die Billionen reichenden Bankenrettungsschirme (denn um nichts anderes ging es ja de facto), das lässt sich feststellen, hat erst einmal gewirkt. Zu Minizinsen aufgenommene Notenbankliquidität, die dann hochverzinslich in durch de facto unbegrenzte Staatsbürgschaften abgesicherte Schrottanleihen investiert wird, macht es schließlich selbst Bankern unmöglich, Verluste zu erwirtschaften. Insofern stehen auch für die pro forma-Stresstests der Geldhäuser, für die die Politik die Regeln so definiert hat, dass die Aufdeckung einer allzu großen Unterkapitalisierung von vornherein ausgeschlossen ist, keine Überraschungen an. Dass die Bankaktien im Vorfeld dieser Veranstaltung ca. doppelt so stark gestiegen sind wie der Markt, spricht für sich. Ganz ähnlich verhielten sich ja auch die US-Banktitel, als ihnen die US-Regierung just vor dem G8/G20-Gipfel die „Daumenschrauben“ anlegte. Zur Ruhigstellung des Publikums reichen derartige Maßnahmen allemal, und die Börse goutiert sie wie ein dargebrachtes Brandopfer.

Anders sieht es nach wie vor am US-Immobilienmarkt aus. Nicht nur, dass die Hypothekenfinanzierer dankstatt staatlicher Kapitalinfusionen wieder in die unheilvolle Gangart von vor Beginn der Finanzkrise hinein gefunden haben; nun beginnt sich auch zu rächen, dass die Regierung bei der Schöpfung zahlreicher Konjunkturdaten allzu viel Kreativität gezeigt hat:

Eine faktisch deutlich über 20 Prozent liegende Arbeitslosenquote in den USA, das immer noch auf Höhe vergangener Rezessionstiefs liegende Verbrauchervertrauen und vor allem diffuse Zukunftsängste lassen für die Entwicklung des amerikanischen Hausmarktes nach der jetzt ausgelaufenen, auch beim besten Willen allenfalls als seicht zu bezeichnenden Stabilisierungsphase einen neuen Abschwung erwarten, der sich verschärfen dürfte, sobald die FED ihre ultraleichte Geldpolitik einmal aufgibt. Aber bis dahin wird es noch dauern, denn die Verantwortlichen wissen schließlich selbst am besten, wie es um den Wahrheitsgehalt ihrer super-bullishen Konjunkturdaten tatsächlich bestellt ist.

MÄRKTE AUF DER FALLTÜRE – WARNSIGNAL DER PRFOFIS

Nach verhaltenem Auftakt fiel das Ergebnis der ersten Handelswoche des zweiten Halbjahres per Saldo gut aus. Was aber auch bitter Not tat. Nicht wegen der miesen Performance der ersten sechs Monate, sondern weil sich viele der internationalen Blue Chip-Aktienindizes charttechnisch (erneut) bis auf eine wichtige Unterstützung abgesenkt hatten, die mit Fug und Recht als „Falltüre“ bezeichnet werden kann. Zu diesen Indizes zählen:

Der Dow Jones, der S&P 500, der DJ. Euro Stoxx 50, der AEX, der ATX, der CAC 40, der MSCI Welt, aber auch der Nikkei und der MSCI Banken. Nasdaq und TecDax hingegen sind technisch bereits nach unten durch. Werden diese Technologiebarometer ihrer traditionellen Vorreiterrolle auch diesmal gerecht, dürfen die in der Vorwoche von den Blue Chip-Indizes erreichten Tiefs jetzt nicht unterschritten werden, da ansonsten eine größere Abwärtskorrektur so gut wie unausweichlich ist.

Die abgelaufene Woche brachte eine leichte Entspannung dieser prekären charttechnischen Situation, nicht mehr und nicht weniger.

Beunruhigend wirkt jedoch, dass es gerade von professioneller Seite ein ernst zu nehmendes Warnsignal für die Wall Street gibt, das natürlich auch für den wie ein Schatten an den US-Vorgaben klebenden deutschen Aktienmarkt gilt. Wir reden vom Investitionsgrad der US-Aktienfonds, wie er sich in den noch zur Anlage zur Verfügung stehenden Barreserven niederschlägt.

Dieser Indikator, der ein direktes Abbild des Optimismus der Fondsmanager ist, hat vor wenigen Wochen mit einem Stand von nur noch 3,4 Prozent Barreserven das niedrigste jemals gemessene Niveau erreicht. Die Aktienfonds sind also buchstäblich bis zur Halskrause im Markt engagiert. Die Crux dabei:

In der Vergangenheit erwies sich das Anlageverhalten der Fondsmanager als exzellent getimter Kontra-Indikator, wenn auch nicht gerade zum Vorteil der Anleger. Denn die Experten schwelgten immer gerade dann in bester Laune, wenn der Markt unmittelbar vor einem massiven Einbruch stand. So im Frühjahr 2000, direkt vor dem Platzen der Blase der New Economy, und im August 2008, perfekt passend zu den ersten Hiobsbotschaften vom US-Immobilien- bzw. Hypothekenmarkt. Mit Barreserven von nur noch 4,0 bzw. 3,5 Prozent lag der Optimismus der Fondsmanager damals aber immer noch einen Tick unter seinem jetzigen Level von 3,4 Prozent. D. h.:

Erweist der Investitionsgrad der US-Aktienfonds auch diesmal als perfekte Timinghilfe für den Beginn einer größeren Abwärtsbewegung, dürfte das zweite Halbjahr hervorragende Chancen für all jene Anleger bieten, die den tatsächlichen Marktverlauf der ersten sechs Monate trotz alles Bullengesäusels mitbekommen haben (es scheint sich um eine exklusive Minderheit zu handeln) und in den kommenden Wochen auf den Break der o. g. charttechnischen Unterstützungen warten können. Ewig kann es ja schließlich nicht im Zickzack weitergehen. Die stärksten Trendbewegungen kommen nun einmal gerade nach derartigen Phasen des Einlullens der Marktteilnehmer – und zumeist in die Richtung, die die Wenigsten auf ihrem Plan haben …

Viel Erfolg und beste Grüße!
Axel Retz

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