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Zornröschens Erwachen

Erinnern Sie sich noch? Drängte es einen früher einmal in einen Auslandsurlaub und man wollte beim Eintreffen am Ziel seiner Wahl nicht gänzlich ohne Bares eintreffen, frequentierte man in einem Geldhaus seiner Wahl einfach den Schalter „Sorten und Devisen“, legte seine DM auf den Tresen und erhielt das Zahlungsmittel seiner Wahl, das je nach Ziel entweder aussah wie Spielgeld oder aber wie kleine Kunstwerke.

Diese Zeiten sind vorbei. In der größten Filiale der Sparkasse in Bayreuth am dortigen Luitpoldplatz erstand ich gestern eine 20 Dollarnote. Nicht, weil ich wieder in die USA reisen, sondern weil ich überprüfen wollte, ob es wirklich wahr ist, dass dieser Geldschein, zu einem Papierflieger gefaltet, auf der Oberseite das brennende Pentagon und auf der Unterseite die in Flammen stehenden Twin Towers zeigt.

Es ist wahr, spielt hier aber keine Rolle. Denn erheblich interessanter fand ich, dass ich für meine Transaktion den Personalausweis vorlegen und eine Bearbeitungsgebühr von 10 Euro entrichten musste. Zehn Euro Bearbeitungsgebühr für einen Geldwechsel im Wert von 13,86 Euro erschienen mir zwar etwas unangemessen, aber da mir sofort klar war, dass sich hieraus eine hübsche Kolumne fertigen ließe, fand ich das gar nicht mal teuer.

Natürlich fragte ich die freundliche Dame jenseits der schusssicheren Glasscheibe, warum sie denn meine persönlichen Daten erfassen und so viel Geld für einen simplen Geldwechsel in dieser geringen Höhe verlangen müsse. Die Antwort:
Da ich nicht Kunde des Hauses sei, sei man aufgrund des Geldwäschegesetzes verpflichtet, meine Daten aufzunehmen und mindestens fünf Jahre aufzubewahren, was im Übrigen schon aber einer Summe von einem Cent gelte.
Um das landläufig als „Geldwäschegesetzt“ bezeichnete Monster einmal korrekt zu benennen: Es heißt „Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten“. Da wird es einem doch warm ums Herz!

Szenenwechsel: An den 110 Milliarden Euro, von den EU-Finanzministern entgegen der in ihrer Eindeutigkeit nicht zu überbietenden No Bailout-Klauseln des Maastricht- und Lissabonvertrags „alternativlos“ zur angeblichen Rettung Griechenlands verausgabt, beteiligt sich die Bundesrepublik mit rund einem Viertel. Und an den jetzt verhandelten 80 – 120 weiteren Milliarden Euro für ein zweites Rettungspaket vermutlich ebenfalls.

Bei somit rund 200 Milliarden Euro entfallen auf jeden Bürger der Republik damit rechnerisch ca. 625 Euro, mit denen er für die phantastische Idee bürgt, Griechenland trotz der bekannten jahrelangen Mauscheleien bei der Berechnung seiner Haushaltszahlen in den Euro aufzunehmen. Für meinen Dreipersonenhaushalt reden wir also von 1.875 Euro allein für das Griechenlandabenteuer der Regierung.

ZORNRÖSCHENS ERWACHEN

Finanziell etwas klammere Familien würden sich ihren Urlaub da gleich einmal abschminken, wenn sie davon Wind bekämen. Aber jenseits der Sechsstelligkeit endet das Zahlenverständnis des Durchschnittsbürgers leider. Ansonsten würde der heutige „Wutbürger“ rasch zum Zornröschen mutieren, das im Angesicht eines drohenden Weckkusses ausgerechnet durch den Bundesfinanzminister von ganz allein au seinem Schlaf erwacht.

Der gleiche Staat, der mich nach einem eklatanten Akt der Rechtsbeugung ungefragt zur wehrlosen Melkkuh für die Schulden anderer Länder und sich verzockt habender Banken degradiert, stellt mich unter den Generalverdacht „von Gewinnen aus schweren Straftaten“, wenn ich 13,86 Euro in eine fremde Währung umtausche? Irgendetwas, fürchte ich, ist daran „unverhältnismäßig“, um es einmal ganz behutsam zu formulieren.

„Unverhältnismäßig“ erscheint bei genauerem Hinsehen aber auch das ganze Gerede um die Beinahepleite Griechenlands. In jedem Falle, so das Credo nahezu aller Verantwortlichen, müsse die Staatspleite des Landes vermieden werden, da sie eine neue Finanzkrise auslösen könnte. Ich kann mir da nur die Augen reiben:

Wenn wir ein System haben, das sich durch zu viele zu billige Kredite an nicht kreditwürdige Schuldner an den Rand des Kollapses manövriert hat, und allen Entscheidungsträgern als Lösung des Problems tatsächlich nichts besseres einfällt als noch mehr aus dem Nichts geschaffene Schulden – ist nicht DAS eine Finanzkrise nie dagewesenen Ausmaßes?

Und wenn die USA trotz eines (jetzt auslaufenden) Konjunkturpakets in Höhe von 800 Milliarden Dollar und der Verstaatlichung untergangsgeweihter Hypothekengiganten immer noch eine (tatsächliche) Arbeitslosenquote von über 22 Prozent, eine Langzeitarbeitslosenquote in Höhe der großen Depression des letzten Jahrhunderts, einen immer noch ungebremst abstürzenden Immobilienmarkt und eine Sprengung der gesetzlich definierten Defizitobergrenze zu verzeichnen haben, auf die die FED fast schon beschwörend mit der Aufforderung einer Ausweitung der Defizite reagiert – ist nicht DAS eine Finanzkrise?

Weiter: Wenn die Banken, die ganz wesentlich am Entstehen des heutigen Schlamassels beteiligt waren und nur durch den massiven Einsatz von Steuergeldern aus der Bredouille gehauen wurden, heute unter der staatlichen Generalabsolution des „too big to fail“  immer noch schalten und walten können wie sie lustig sind und sich ihre Kapitalanforderungen selbst festlegen - ist nicht DAS eine Finanzkrise, befeuert vom durch die „Systemrelevanz“ ausgelösten moral hazard, der den Banken eine Eigenverantwortung nur für Gewinne attestiert, Verluste aber sozialisiert?

Und schließlich: Wenn die Notenbanken als „lender of the last resort“ in großem Umfang offenkundigen Kreditmüll als Sicherheit für herausgereichte Kredite akzeptieren und heute daher nicht mehr frei entscheiden können, ohne selbst gewaltige Verluste einzufahren – ist nicht DAS eine Finanzkrise?

Um was also reden die Verantwortlichen heute? Wenn eine Klitsche wie Lehman pleite geht oder ein Land wie Griechenland, dann ist das ein Nichts im Vergleich zum Ausmaß der öffentlich gar nicht thematisierten, tatsächlichen Finanzkrise, innerhalb derer sich diese vergleichsweise kleinen „Unfälle“ abspielen!

WEG MIT DER GREENSPAN-DOKTRIN!

Ursache des ganzen Übels: Die von Alan Greenspan initiierte und heute regelrecht in den Köpfen eingebrannte Idee, im Finanz- und Wirtschaftsleben alles und jeden um wirklich jeden Preis „retten“ zu wollen! Ist es wirklich schlimm, wenn bei einer Bank die Lichter ausgehen? Oder wenn in Griechenland, wie der heute abgetretene Finanzminister formulierte, die Rollläden herunter gelassen werden? Pleiten hat es immer gegeben und zu einem gesunden Wirtschaftssystem gehörten sie seit Menschengedenken einfach dazu.

Das Greenspan-System des universellen Rettungswahns, das jedes wirtschaftliche Scheitern einer Katastrophe gleichsetzte und die Rezession nicht mehr als natürlichen Bestandteil des Wirtschaftszyklus, sondern als um jeden Preis zu verhinderndes Desaster begriff, hat sich mittlerweile dermaßen verselbständigt, dass es heute nicht einmal mehr hinterfragt wird und die Steuerzahler zu unfreiwilligen Zahlmeistern für immer neue, immer teurere Kostgänger macht.

Und ob die neue Doktrin funktioniert oder nicht, das sollen die Aktienkurse preisgeben. Klar doch. Nur dumm, dass der MSCI Banken in der letzten Woche ein klares charttechnisches Verkaufssignal gegeben hat und dass die US-Indizes am gestrigen großen Verfalltermin der Terminbörsen  punktgenau auf einer langfristig äußerst wichtigen Unterstützung aufsaßen, deren Abwärtsbreak als starkes Verkaufssignal zu bewerten wäre.

Die „Systemrisiken“, das ist keine Frage, haben durch die in den letzten Jahren versenkten Billionen an neuen Schulden nicht ab-, sondern drastisch zugenommen. Zu glauben, dass das alles die Aktienmärkte heute nichts mehr angeht, ist fast so naiv wie die Annahme, dass deutsche oder amerikanische Anleihen so etwas wie ein sicherer Hafen sind.

Das einzig Positive am gegenwärtigen Zustand der Märkte ist, dass sie uns auch für Abwärtsphasen alle erforderlichen Werkzeuge zur Verfügung stellen, um gewinnbringend mitzuspielen. Und Gewinne aus Börsengeschäften stehen nicht im Verdacht, „Gewinne aus schweren Straftaten zu sein“. Zumindest nicht, solange Sie sie nicht am Bankschalter gegen Dollarnoten eintauschen wollen.

Viel Erfolg und beste Grüße,
Axel Retz

© 18.06.2011 www.private-profits.de


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